Der Sport der Zukunft

Besuch beim TSV 1895 Oftersheim
„Sehr geehrte Frau Martin,
 
(…) über einen Besuch im eSport-Zentrum Mannheim würden wir uns sehr freuen.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Jonas Stratmann
(Abteilungsleiter Sektion eSport – TSV 1895 Oftersheim e.V.)”
 
Dieser Einladung kam ich sehr gern nach ⎼ und das an gleich zwei Tagen. Am 03.08. besuchte ich Jonas Stratmann und Katharina Spinner von der Sektion eSport des TSV 1895 Oftersheim e.V. in ihrem Leistungszentrum. Am 04.08. kam ich zum Besuch von Dr. Susanne Eisenmann hinzu.
 
 
➡️ Der TSV 1895 Oftersheim e.V. ist nicht nur einer der größten Turn- und Sportvereine Baden-Württembergs, sondern auch Trägerverein des Leistungszentrums sowie der erste Amateursportverein Deutschlands mit eigener eSport-Abteilung.
 
Jonas Stratmann: „Der TSV gibt uns eSportlern ein Zuhause.“ ⎼ Zumindest ist das die Kernaussage. Doch macht der TSV wesentlich mehr: Er ermöglicht es vielen jungen Menschen, sich einem Thema zu widmen, das nach wie vor ein Schattendasein fristet, obwohl es das in keiner Weise verdient. Allein 2019 definierte eine Studie zum Thema „Gaming and eSport“ über 2,5 Mrd. Spieler*innen weltweit; zudem stieg das Publikum der (online übertragenen) Veranstaltungen weltweit auf rund 443 Mio. Eine stattliche Zahl ⎼ weshalb hierbei nicht ansetzen?
 
Das Geschäft mit der Herstellung und Verbreitung von Spielen wächst. Doch das ist nicht die Intention des Vereins.
 
Jonas Stratmann geht hierbei ins Detail: „ESport holt nicht wenige junge Menschen da ab, wo sie gerade sind: in einer digitalisierten Welt. Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass Online-Gaming jemals wieder aufhört. Stattdessen gilt es, die Ressourcen zu nutzen und daraus Chancen erwachsen zu lassen. Dazu gehört auch, Jugendliche und junge Erwachsene für einen Vereinssport zu begeistern, dem sie ohne Team eher allein, wenn nicht sogar abgeschottet nachgehen.“
 
 

Mehr als Zockerei

 
Das Vereinsleben steht auch in der Sektion eSport des TSV weit oben. Gemeinsame Veranstaltungen sowie Trainingseinheiten, in denen an Leistungsniveaus gearbeitet, Vorgänge analysiert und persönliche Themen der Sportlern besprochen werden, gehören dazu wie auch in Vereinen des Breitensports. An sich ist also nichts anders, oder?
 
„Wir sind uns bewusst, dass gerade das Thema ‚Spiel‘ ein Image des Stubenhockens und Nerdtums mit sich bringt. Doch durch das Vereinsleben holen wir die Gamern aus ihren Zimmern. Zudem bieten wir den Sportlern Programme der Rückenschule sowie physiotherapeutische Unterstützung. Schlussendlich ist es wichtig, dass unsere Aktiven nicht nur geistig fit, sondern auch körperlich gestärkt sind.“
 
ESport wird häufig mit Ego-Shootern oder Spielsucht in Verbindung gebracht. Dass es hierbei eine Dunkelziffer an Personen gibt, die dem ein oder anderen Negativpotenzial erliegen könnten, ist den Verantwortlichen bewusst. Daher hat sich der Verein zeitnah mit den Experten des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim zusammengeschlossen. Hier werden Trainer und Spieler über verschiedene Gefahren aufgeklärt, erhalten präventiv Unterstützung und können somit auch in ihrer gemeinschaftlichen, ehrenamtlichen Tätigkeit auf die richtigen Signale achten.
 
 

Erfolgsgeschichten

 
„Für den Verein konnten wir ein CS:GO Frauenteam, das zu den TOP16 der Welt gehört, und ein CS:GO Männerteam, das unter den TOP20 in Deutschland weilt, gewinnen“, so Stratmann. Damit einher gehen natürlich entsprechende Leistungen. Doch die sportlichen sind nicht einmal die, die mein „Pädagoginnenherz“ höherschlagen lassen. Vielmehr war es eine Geschichte, die mich besonders beeindruckte:
 
„Viele Gamer, die online zocken, sitzen allein mit ihrem Headset vorm Bildschirm und lassen ihren Gefühlen während des Spielens freien Lauf. Also brüllen sie sich teilweise gegenseitig an, wobei Beleidigungen wie ‚A…ch‘ noch geschmeichelt sind. In den Vereinen und Ligen wird dieses Verhalten nicht nur nicht geduldet; es wird geahndet. Einmal, ein Neuzugang trainierte seine ersten Runden mit uns, eskalierte dieser innerhalb weniger Minuten verbal stark. Nur, dass daraufhin einer seiner Teamkameraden aufstand und ihm persönlich mitteilte, dass die Anonymität des Internets hier nicht gegeben ist. Nach peinlichen Minuten des Schweigens war das grobschlächtige Verhalten gänzlich abgestellt.“
 
Es zeigt also Wirkung: Das Miteinander beeinflusst positiv. Es geht um viel mehr, als Sport ⎼ wie in jedem Verein. Der Sinn ist das Gemeinschaftliche. Doch eine Frage bleibt auch für Jonas Stratmann: „Wir holen zwar die Gamer dort ab, wo sie stehen. Aber wer holt den eSport ab?“ Der Weg ist noch weit und zugleich offen einsehbar. Die digitalisierte Welt hat den Sport für sich nicht nur entdeckt, sondern eingenommen.
 
Diese Erkenntnis ist wichtig, vor allem für die Politik. Daraus lassen sich nicht nur verschiedene Ideen stricken, sondern Projekte entwickeln und Menschen erreichen, die ansonsten andere Interessenfelder bedienten.